Gonzalo Márquez Cristo - ALEMÁN

Foto : Sergio Trujillo Béjar

Dichter, Erzähler, Essayist und Herausgeber, wurde 1963 in Bogotá, Kolumbien geboren. Er veröffentlichte zwei Ausgaben seines Gedichtbandes Apocalipsis de la rosa (1988, erweitert 1990), den Roman Ritual de títeres (Stipendium 1988, veröffentlicht 1992), die Erzählsammlung El Tempestario y otros relatos (1998), die Gedichtsammlung La palabra liberada (2001, Zweitauflage 2005), die Anthologie Liberación del origen (2003) sowie Oscuro Nacimiento (2005, Zweitauflage 2006), La morada fufgitiva (2014). 1989 war er Mitbegründer der Kulturzeitschrift Común Presencia (ausgezeichnet mit einer staatlichen Förderung 1992), deren Leiter er zur Zeit ist. Er ist Gründer und Leiter der Literatursammlung Los Conjurados, die im Moment an fünf Länder ausgeliefert wird, und leitete das TV-Programm Letra Viva. Er ist Gründer und Herausgeber des wöchentlichen, über das Internet versandten Programms Con-Fabulación, das zur Zeit 100.000 Subskribienten zählt. Etliche seiner Gedichte und Erzählungen wurden übersetzt: ins Englische, Französische, Arabische, Italienische, Portugiesische, Japanische und in die Blindenschrift, und finden sich in 36 Anthologien. Er ist Co-Direktor der kolumbianischen Ausgabe von Día Mundial de la Poesía (gegründet von der UNESCO). 2007 erhielt er den Premio Internacional de Ensayo Maurice Blanchot für seine Arbeit "La Pregunta del Origen".
Sein Werk wurde rezipiert von wichtigen Dichtern und Theoretikern unserer Zeit wie E.M. Cioran, Roberto Juarroz, Bernard Noël, José Ángel Valente, Fernand Verhesen, António Ramos Rosa, Alfredo Silva Estrada, Claude Fell, Roger Munier, Olga Orozco, Antonio Gamoneda, Eugenio Montejo, Claude Michel Cluny, Martha Canfield, Franco Volpi, Jorge Rodríguez Padrón, Marco Antonio Campos...

De La palabra liberada (2001)
(Traducido al alemán por Christoph Janacs)

Verteidigung der Wunde

(Defensa de la herida)

Nicht immer kann man dem Tod vertrauen.

In diesem Trümmerland träumen wir davon, den Schrei zu tun, der zur Vollendung gebracht wurde während der Nacht, die nicht zu unterbrechen ist.

Niemand lernt mehr vom Schweigen.

Nur um das zu erben, was aller ist, bereiten wir uns glücklos darauf vor, frei zu sein, alle Angst abzuschaffen, die nicht Liebe erschafft.

Bisweilen der Mond (die Erinnerung) oder manchmal die Sonne (die Fremde): verpflichtet uns zur Hoffnung. Dennoch kennt jeder die Art und Weise und die Stunde, in der er ermordet werden wird.

Wenn die Gleichgültigkeit sich in Schmerz verwandelt – werden wir uns retten können?



Handwerk des Vergessens

(Oficio de olvido)

Eine Frau küsst sich im Spiegel, verschwindet mit ihrer Seele, Wasser ist ihre Einsamkeit.

Ein Kind, verborgen in einem Schrank, versucht zu sterben.

Die Tränen eines Mannes fallen in seine Kaffeetasse.

Eine Jugendliche hält mit dem Zeigefinger den Zeiger der Uhr an und schaudert.

Im Wind gibt es eine Nachricht, die wir nicht verstehen werden.

Dein Schatten begehrt auf.

Wir rüsten uns zur Flucht vor allem, was wir lieben.

Der nicht aufbricht, wird vergessen sein.

Der Wind spricht mit dem Feuer.

Ich warte auf meine Stimme.

Reisen ist auch das Gegenteil von Tod.

Solange der Same den Vogel täuscht, werden wir nicht verloren sein.

Wir werden einander lieben in anderen Gesichtern.

Keiner verbirgt sich in Erinnerung.

Wird einer kommen, um unsre Namen zu begraben?



Die verlorenen Worte

(Las palabras perdidas)

Jemand entziffert die Regenschrift und vermag dennoch nicht zu entkommen.

Eine Bilderlawine entführt uns das Wort; wir versuchen den Schrei und die Klage, manchmal die Gleichgültigkeit, aber wir wissen, wir brauchen den Krieg, um unschuldig zu sein.

Alles was die Asche geopfert hat.

Seit wir die Nacht verbannten, verschwanden die tiefsten Bündnisse und unsre Verfolger können uns finden.

Eine Wunde erinnert sich stets an das Leben, jede Geburt stammt aus ihrem Tunnel. Ein Baum brennt in unsren wässrigen Augen.

Die Wahrheit – das heißt das Verbotene – errichtet ihr Schreckensreich ... und wir haben beschlossen, es mit gefalteten Händen zu bewohnen.

Wir dachten, die Poesie würde uns lehren zu sterben...

Wir dauern an ... Oft zeigen wir das seltsame Lächeln der Angst. Wenn wir fliehen, verwandelt die Einsamkeit einen in ein Opfer. Deshalb wandert das Wort von einer Hand in die andre, um eine unsichtbare Wohnung zu bauen.

Manchmal, um zu überleben, verzichten wir auf die Erkenntnis.

Und wenn alle schlafen, schreiben wir ... Doch ein Gedicht ist das Fossil eines Traums, der Leichnam eines Gottes ...

Werden wir uns noch retten können?